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Brot-Sommeliers: Schmecken ist ein Handwerk

Foto: ©Unsplash

Geschmack ist Geschmackssache? Nicht für einen Sommelier bzw. eine Sommelière. Denn hier handelt es sich um Experten in Sachen Sinneswahrnehmung eines bestimmten Lebensmittels oder Getränks. Sehen, fühlen, riechen, schmecken und sogar hören – das alles spielt eine Rolle, wenn Sommeliers und Sommelièren am Werk sind.

Die meisten kennen den Begriff des Sommeliers wahrscheinlich am ehesten aus dem Zusammenhang mit Wein. Inzwischen gibt es aber noch viel mehr solcher „Genuss-Experten“ für ganz andere Spezialgebiete, etwa Wasser, Bier, Fruchtsaft, Käse, Fleisch, Nüsse oder eben auch Brot. Wie viel es bei Brot an Aromen und anderen Qualitätsmerkmalen zu entdecken, und was es noch alles über die besonders reiche deutsche Brotkultur zu wissen gibt, das lernen angehende Brot-Sommeliers und -Sommelièren an der Akademie des Deutschen Bäckerhandwerks in Weinheim.    

Bei 3.200 Sorten Brot sind Experten gefragt

Seit 2015 werden in Weinheim Brot-Sommeliers und -Sommelièren geschult. Voraussetzung ist eine vorangegangene Ausbildung zum Bäckermeister oder ein abgeschlossenes Studium der Ernährungs- oder Getreidewissenschaften. Wer mit der Ausbildung zum/zur Brot-Sommelier oder -Sommelière beginnt, bringt also schon einiges an Vorwissen mit. Hinzu kommen 480 Stunden Weiterbildung an der Akademie. Denn Brot ist ein komplexes Thema. Im Deutschen Brotregister sind rund 3.200 Sorten gelistet. Kein Wunder – sind doch schon die Rohstoffe mannigfaltig und die Herstellungsverfahren nicht minder. Und wer sich Brot-Sommelier oder -Sommelière nennen möchte, muss nicht nur wissen, was guten Geschmack ausmacht. Als „B(r)otschafter“ sind sie Experten in allen Belangen rund um unser täglich Brot. Zugegeben – das wäre in einem anderen Land vielleicht leichter. Deutschland hat eine einzigartige und besonders stark ausgeprägte Brotkultur vorzuweisen. 2014 wurde diese sogar von der UNESCO zum immateriellen Weltkulturerbe erhoben.

Die Sprache des Schmeckens

Nun gibt es also viel über Brot zu wissen, und wie ein gutes Brot schmecken sollte, ist nur ein Aspekt von vielen. Sicherlich aber ein zentraler. Zumal sich viele fragen werden: Ist Geschmack nicht Geschmackssache? Gibt es den einen „richtigen“ Geschmack? Ja und ja. Natürlich ist es individuell verschieden, was als „lecker“ empfunden wird. Der eine mag dies, der andere das. Bei der fachmännischen Qualitätskontrolle und der Beurteilung des Geschmacks eines Lebensmittels geht es jedoch nicht um individuelle Präferenzen und „lecker“. Es gelten vielmehr gewisse Standards, festgelegte Kriterien, nach denen beurteilt wird, so auch bei Brot. Es gibt zum Beispiel zahlreiche und vielschichtige Aromen, die eine Brotsorte charakterisieren. Um diese herauszuschmecken, braucht es einen geschulten Gaumen. Und was es vor allem auch braucht: eine gemeinsame Sprache. Wenn man sich über sensorische Wahrnehmungen eines Lebensmittels miteinander unterhalten möchte, müssen vorher Begriffe definiert werden, um sicherzustellen, dass alle das Gleiche damit meinen. An der Weinheimer Akademie gehören daher die „Weinheimer Brotsprache“ sowie rhetorische Schulungen zu den Fortbildungsinhalten.  

Professionell verkosten – so schmeckt man richtig

Mit „Verkosten“ ist in der Welt der Sommeliers und Sommelièren viel mehr gemeint, als der reine Sinneseindruck auf der Zunge. Zumal Schmecken ohnehin zum Großteil über die Nase stattfindet, die Zunge ist vergleichsweise beschränkt in ihrer Wahrnehmung. Wenn Brot-Sommeliers und -Sommelièren verkosten, beginnen sie mit den Augen. Schon Form und Farbe des Brotes sagen viel aus. Weiter geht es mit dem Tastsinn. Wie fühlt sich die Kruste an, ist sie hart oder weich, gibt sie auf Druck nach? Hier kommt sogleich die Akustik ins Spiel: Wie klingt die Kruste? Macht sie unter Druck Geräusche und wenn ja, welche? Dann ein tiefer Atemzug: Welche Aromen gibt die Kruste jetzt schon preis? Buttrig, röstig, Noten von Kaffee oder Holz?

Auch beim Anschneiden des Brotes wird noch mal genau hingehört und gefühlt. Wie ist der Widerstand von Kruste und Krume? Wie klingt es beim Schneiden? Ein heller Ton zeugt von einer reschen, splittrigen Kruste, ist er eher dumpf, handelt es sich um ein kompaktes, feuchteres Brot. Nun wird die Krume in Augenschein genommen. Sind die Poren groß oder klein? Gibt es viele Löcher oder ist die Krume eher dicht? Ein Drucktest mit dem Daumen zeigt außerdem: Federt die Krume zurück oder bleibt eine Druckstelle? Ein tiefer Atemzug in unmittelbarer Nähe der Schnittstelle offenbart weitere Aromen, etwa biskuitartige, nussige oder fruchtige. Erst dann geht es ans Schmecken mit der Zunge. Zunächst wird die Krume für sich verkostet, beim Kauen genau nachgespürt, welche Aromen sich entfalten. Dann gibt es ein Stück Krume und Kruste gemeinsam. Das Experiment kennen viele sicher noch aus der Schule: Je länger man Brot kaut, desto süßer wird es. Denn die Enzyme im Speichel beginnen schon hier ihre Arbeit und spalten die Stärke in Zucker. Zu lange darf also nicht gekaut werden, zu kurz aber auch nicht. Ein wichtiges Kriterium auch: Welcher Eindruck bleibt zurück, wie ist der Nachgeschmack?   

All diese Eindrücke führen zu einem Gesamtfazit und dem Urteil des Fachmanns bzw. der Fachfrau: Hat das Brot den Qualitätstest bestanden? 

Bread-Pairing – Brot kommt selten allein

Neben der Frage, wie Brot schmeckt, stellt sich natürlich auch die Frage, womit Brot schmeckt, denn selten wird Brot solo verzehrt. Dabei geht es aber um mehr, als mit was man Brot alles belegen kann. So lernen die angehenden Genussexperten in Weinheim, wie eine perfekte Harmonie zwischen Brot, Käse und Wein aussehen kann. Hier kommt es wieder ganz genau auf die einzelnen Aromen an und wie diese zusammenpassen. Nicht jedes Brot passt zu jedem Käse und beides nicht zu jedem Wein. Der Klassiker Baguette und Rotwein ist beispielsweise gar keine so gute Kombination, da die meist intensiven und wuchtigen Aromen des Rotweins die zarten des Baguettes völlig übertünchen. Besser harmonieren Brote mit nussigen, röstigen Noten, die die Fruchtaromen des Weins unterstreichen.

Die Vielfalt mit allen Sinnen erleben

Nicht zuletzt den Brot-Sommeliers und Brot-Sommelièren ist es zu verdanken, dass unserem deutschen Kulturgut Brot und zudem Grundnahrungsmittel Nummer eins wieder mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung zuteilwird. Bei so vielen Sorten lohnt sich das Ausprobieren, Informieren, Hinschmecken, Entdecken und Genießen. Neugierig geworden? Dann auf zum Bäcker! Und heute vielleicht einmal eine andere Sorte kaufen als sonst – und mit allen Sinnen erleben!

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