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Wann ist ein Brot ein Brot? Leitsätze geben die Antwort

Leitsätze für Brot und Kleingebäck sorgen dafür, dass drin ist, was drauf steht

©Pexels auf Pixabay

Natürlich müssen Bäckerinnen und Bäcker Regeln einhalten, wenn sie Backwaren herstellen, um etwa Hygienevorgaben zu erfüllen und grundsätzliche Lebensmittelsicherheit zu gewährleisten. Aber es gibt darüber hinaus auch sogenannte Leitsätze, die ziemlich genau regeln, was drin sein muss und wie viel davon, wenn sie etwa ein Brötchen als Rosinenbrötchen verkaufen möchten. Dabei geht es nicht darum, die Kreativität der Bäckerzunft einzuschränken, sondern vielmehr darum, Qualitätsstandards sicherzustellen, Verbrauchererwartungen zu erfüllen und Täuschung zu vermeiden. Nicht zuletzt wird mittelbar auch der Wettbewerb vor unlauteren Geschäftspraktiken geschützt.

Leitsätze gibt es für so gut wie alle gängigen Lebensmittel, nicht nur für Brot und Brötchen. Zusammen ergeben sie das Deutsche Lebensmittelbuch, wobei man sich dieses nun nicht als ein tatsächliches, dickes Gesetzesbuch vorstellen darf, das man sich ins Regal stellen kann, sondern eher als eine Sammlung, deren einzelne Teile immer wieder überarbeitet und neu veröffentlicht werden (und zwar längst digital). Zugegeben – Lebensmittelleitsätze sind nicht das spannendste Thema, jedenfalls nicht, wenn man sich die Original-Texte anschaut. Wichtig sind sie aber dennoch, weil sie in vielen Fällen sicherstellen können, dass Verbraucher auch das bekommen, was sie von einem Lebensmittel mit einer bestimmten Bezeichnung erwarten. Wie die Leitsätze zustande kommen, wer sie erstellt und worauf man sich bei Brot und Brötchen sicher verlassen kann, darum soll es hier gehen.

Regel(back)werk – was draufsteht, muss auch drin sein

… und zwar in sinnvoller Menge. Man stelle sich ein Rosinenbrötchen vor, in dem nur eine einzige Rosine drin ist. Oder zwei. Als Käufer wäre ich empört, denn ich hätte natürlich viel mehr Rosinen erwartet, war vielleicht auch bereit, dafür etwas mehr zu bezahlen. Aber streng genommen ist es ja trotzdem ein Rosinenbrötchen, auch wenn nur wenige Rosinen drin sind, oder nicht?

Nein, sagt die Deutsche Lebensmittelbuchkommission, ein Rosinenbrötchen muss mindestens 15 % Rosinen enthalten. So steht es in den von ihr erstellten Leitsätzen für Brot und Kleingebäck. Aber wie kommt sie darauf? Wieso 15 % und nicht 10 % oder 20 %?

Die Deutsche Lebensmittelbuchkommission ist ein 32-köpfiges Gremium. Acht Personen kommen aus dem Bereich Wirtschaft, acht Personen aus dem Bereich Wissenschaft, acht aus der Lebensmittelüberwachung und acht aus dem Verbraucherschutz. Damit sind alle vier Bereiche, für die solche Regelungen wichtig sind, gleichberechtigt vertreten. Eine der wichtigsten Aufgaben dieses Gremiums ist es, die „allgemeine Verkehrsauffassung“ eines Lebensmittels zu bestimmen. Mit der „allgemeinen Verkehrsauffassung“ ist nichts anderes als die Erwartung der Allgemeinheit gemeint. Also konkret: Wie viele Rosinen erwartet der Durchschnittsbürger, aber auch der Wettbewerb, in einem deutschen Rosinenbrötchen?

Die Antwort 15 % ist das Ergebnis intensiver Forschung, hinzugezogener Sachverständiger und ausführlichen Verbraucherfeedbacks. Man sieht: Es wird hier sehr genau genommen und nicht ins Blaue hinein irgendwas geschätzt. Man sieht auch, wie viel Arbeit das bedeutet, denn im Deutschen Lebensmittelbuch geht es natürlich nicht nur um Rosinenbrötchen.

Was erwarten wir bei Unerwartetem?

Der Lebensmittelmarkt verändert sich ständig, heute schneller denn je. Neue Produkte kommen hinzu, alte passen sich dem Zeitgeist oder neuen Herstellungsverfahren, Rohstoff- und Liefersituationen an. Wie also stellt man die Verbrauchererwartung an ein Lebensmittel fest, das es noch gar nicht so lange gibt und bei dem jeder etwas anderes – oder nichts – erwartet? Nach dem Willen des Gesetzgebers darf die Lebensmittelbuchkommission ausschließlich Tatsachen beschreiben und den Status quo bestimmen. Mit dem ungelösten Problem, dass somit für neuere Lebensmittel kein Leitsatz möglich war. Zunächst musste sich auf dem Markt eine Verkehrsauffassung zu einem Produkt etablieren. War diese gefestigt, konnte ein Leitsatz folgen. Mit einer Reform 2016 änderte sich dies. Seither möchte die Kommission auch „prägend“ tätig werden und selbst festlegen, was ihrer Meinung nach erwartet werden kann. In der Wirtschaft und der Rechtswissenschaft wird das durchaus kontrovers gesehen. Es hat auf der anderen Seite aber auch den Vorteil, dass der Lebensmittelmarkt viel umfassender in den Leitsätzen abgebildet werden und neuen Entwicklungen am Markt schneller Rechnung getragen werden kann.

Leitsätze und keine Gesetze – wie verbindlich sind die Vorgaben?

Dass hier von Leitsätzen und nicht von Gesetzen gesprochen wird, hat natürlich einen Grund. Leitsätze sind keine Rechtsnormen im rechtstechnischen Sinne. Sie sind kein formelles (Parlaments)Gesetz und auch keine von der Exekutive erlassene Rechtsverordnung. Vielmehr stellen sie eine Orientierungshilfe für die beteiligten Verkehrskreise dar, sie sind nicht unmittelbar rechtlich bindend. Dennoch sind sie in Rechtsfragen nicht unwichtig. Klagt zum Beispiel ein Käufer, weil sein vermeintliches Rosinenbrötchen nur zwei Rosinen enthält, könnte ein Gericht einen Gutachter mit der Klärung der Frage beauftragen, was ein Rosinenbrötchen üblicherweise an Rosinen beinhalten muss. Da es hierzu aber Leitsätze im Lebensmittelbuch gibt, erübrigt sich normalerweise die Anrufung eines Gutachters, denn die gutachterlich zu klärende Frage ist ja schon geklärt, nämlich durch den entsprechenden Leitsatz. Viel wahrscheinlicher, als den Gutachter anzurufen, wird das Gericht nun einen Blick in das Deutsche Lebensmittelbuch werfen und sehen: Wer ein Rosinenbrötchen kauft, kann zu Recht erwarten, dass dieses mindestens 15 % Rosinen enthält. Der Jurist sieht im Lebensmittelbuch deshalb eine Art „vorweggenommenes“ (antizipiertes) Sachverständigengutachten. Es beschreibt eine sonst gutachterlich klärungsbedürftige Tatsachenfrage, keine Rechtsfrage. Aber an diese Tatsachenfrage knüpft sich die rechtliche Beurteilung an, sie ist deren Grundlage. Bei einem Verstoß gegen die Leitsätze würde ein Urteil demnach voraussichtlich zugunsten des Käufers ausfallen.

Auch wenn die Leitsätze streng genommen keine Gesetze sind, hält man sich also dennoch ziemlich strikt daran – um kein Risiko einzugehen. Zudem ist es im allseitigen Interesse, klare Definitionen zu haben, Qualitätsstandards sicherzustellen und sich auch im Wettbewerb an gewisse Spielregeln zu halten. 

Nomen est omen

Aber was macht der Bäcker nun mit einem Brötchen, das weniger als 15 % Rosinen enthält? Vielleicht gibt es ja einen guten Grund dafür – etwa, dass noch andere Zutaten hinzukommen und es dann auf die richtige Mischung ankommt. Schränkt hier nicht wieder mal die deutsche Bürokratie die Freiheit und Kreativität ein? Im Gegenteil! Sie wird sogar noch gefördert, nämlich bei der Namensgebung. Selbstverständlich sind auch Brötchen mit weniger Rosinen erlaubt. Sie dürfen dann nur nicht Rosinenbrötchen heißen.

Leitsätze für Brot und Kleingebäck – was wir erwarten dürfen

Beim Kauf eines Rosinenbrötchens dürfte sich inzwischen jeder hier ziemlich sicher fühlen, dass er auch bekommt, was er kauft. Anders sieht es dagegen bei Vollkorn aus. Viele Verbraucher haben die Befürchtung, durch färbende Zutaten getäuscht zu werden – das Brötchen sieht zwar dunkel aus, aber es ist gar kein Vollkorn! Mag sein, aber ganz sicher heißt es dann auch nicht Vollkornbrötchen. Wenn es so heißt, muss mindestens 90 % des Getreides aus Vollkorn sein. Im Zweifel also lieber am Namen als an der Optik orientieren – wenn denn wirklich Vollkorn gewünscht ist. Viele mögen auch die dunklen Nicht-Vollkornbrötchen gerne, denn hier kann es zum Beispiel Malz sein, das den Brötchen nicht nur Farbe, sondern auch einen besonders würzigen Geschmack verleiht.

Die Leitsätze für Brot und Kleingebäck wurden erst 2021 aktualisiert, um den erwähnten Veränderungen am Lebensmittelmarkt und im Verbraucherverhalten Rechnung zu tragen. So wurden etwa auch Pseudogetreide wie Amaranth, Buchweizen und Quinoa aufgenommen und gelten zukünftig als bei uns übliche Brotzutaten.

Zudem wurde auch erstmals der Begriff „traditionell“ definiert. Unsere moderne, schnelllebige Welt weckt bei vielen die Sehnsucht nach der „guten alten Zeit“, besonders in Bezug auf die Produktion von Lebensmitteln. Viele Hersteller möchten diesem Wunsch nachkommen, und etwas aus traditioneller Herstellung oder nach traditioneller Rezeptur anbieten, doch es stellt sich eben auch hier die große Frage, was traditionell eigentlich genau bedeutet und was Verbraucher dabei erwarten. Kein Bäcker wird sein Brot heute noch mit der Hand kneten, selbst zu Hause haben die meisten Leute, die ab und zu mal ein Brot selbst backen, inzwischen eine Knetmaschine stehen. Früher gab es die aber nicht. Wie weit zurück reicht die Tradition also? Die Leitsätze für Brot und Kleingebäck machen den Begriff traditionell nicht am Maschineneinsatz fest, sondern wählen einen rezepturbezogenen Ansatz. Sie definieren traditionell dahingehend, dass bei traditionellen Broten Rezepturen zum Einsatz kommen, bei denen keine Lebensmittelzusatzstoffe und zugesetzte Enzyme verwendet werden dürfen. Allerdings werden auch hier Einschränkungen gemacht, denn in Brot kommt auch bei traditionellen Rezepten Salz hinein und Salz enthält heutzutage in der Regel Rieselhilfsstoffe, damit das Salz bei der üblichen Luftfeuchtigkeit nicht verklebt. Auch Natronlauge ist erlaubt, um beispielsweise Laugengebäck herstellen zu können. Das mit der Tradition ist also gar nicht immer so einfach.

In vielen Fällen ist es aber einfach, wie Rosinenbrötchen und Vollkornbrot zeigen. Im Grundsatz gilt: Was draufsteht, muss auch drin sein. Darauf können sich Verbraucher heute dank der Lebensmittelleitsätze und der Vorgaben der EU-Lebensmittelinformationsverordnung ziemlich gut verlassen.

Eine Erfolgsgeschichte

Die Lebensmittelleitsätze mögen auf den ersten Blick wie ein schwerfälliges und schwer verständliches Bürokratie-Monster erscheinen, aber wir haben es ihnen zu verdanken, dass wir uns bei ganz vielen Produkten darauf verlassen können, dass wir das bekommen, was wir erwarten. Sicher ist nicht alles perfekt, doch die deutsche Lebensmittelbuchkommission bemüht sich stetig darum, ein riesiges, dynamisches und immer weiterwachsendes Lebensmittelangebot zu ordnen, zu strukturieren und Produkte mit Verbrauchererwartungen in Einklang zu bringen – und das durchaus mit viel Erfolg. Zählen Sie doch beim nächsten Mal die Rosinen in Ihrem Rosinenbrötchen. Sie werden sehen …  

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