Rohstoffe
Zucker – Kann denn lecker Sünde sein?

Fast wirkt es so, als sei Zucker der neue Staatsfeind Nummer eins. Viel hört und liest man darüber, dass er dick und krank macht und wir ihn am besten aus unserer Ernährung eliminieren sollten. Aber wer Zucker pauschal als Gift abstempelt, verliert das Gesamtbild aus den Augen. Ernährung ist ein komplexes Thema, in das viele Aspekte hineinspielen: Biologie, Psychologie, Gesellschaft, Wirtschaft, Politik, Ethik, Religion. Das wird bei der Debatte um Zucker wieder einmal ganz deutlich.
Wir lieben Zucker. Kein Wunder, denn evolutionsbiologisch sind wir darauf programmiert. Zucker liefert unserem Körper schnell verfügbare Kohlenhydrate – Energie, die wir quasi sofort nutzen können, um beispielsweise einem Säbelzahntiger davonzurennen. Den gibt es zwar heute nicht mehr, aber damals, als es ihn noch gab, konnte eine Portion Zucker im Blut ein Überlebensvorteil sein. Heute wird uns unser süßer Gaumen zunehmend zum Verhängnis, aber das ist eben die Krux an der Evolution: Sie geht sehr langsam vonstatten. Was für uns eine lange Zeit ist, ist im Auge der Evolution nur ein Wimpernschlag. Und da sitzen wir nun, ohne Säbelzahntiger, aber immer noch mit großer Lust auf Süßes. Und jetzt? Das fragt sich nicht nur über die Hälfte der Deutschen, die übergewichtig ist, sondern auch die Politik und die Lebensmittelindustrie.
Was wir wissen und wie wir handeln
Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sollten wir täglich maximal 10 Prozent unserer Gesamtenergiezufuhr durch freie Zucker aufnehmen. Freie Zucker sind nach dieser Definition solche Zucker, die Lebensmitteln bei der Herstellung zugesetzt werden, aber auch solche, die in Honig, Sirupen, Fruchtsaftkonzentraten und Fruchtsäften natürlicherweise vorkommen. In der Praxis bedeutet das: Jemand mit einem Energiebedarf von rund 2000 kcal am Tag sollte nicht mehr als 50 Gramm freien Zucker essen. Dem schließen sich auch die Deutsche Adipositas-Gesellschaft e.V. (DAG), die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) und die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE) an. Bei der maximalen Obergrenze für Zucker ist man sich inzwischen also weitestgehend einig. Aktuell wird diese Obergrenze im Durchschnitt von einer Frau um 4 Prozent verfehlt, von einem Mann um 3 Prozent, sprich bei Frauen liegt die Zufuhr freier Zucker bei rund 14 Prozent ihrer Gesamtenergiezufuhr und bei Männern bei 13 Prozent. Das klingt erst mal gar nicht so dramatisch und 10 Prozent nach einem machbaren Ziel. Trotzdem bleibt die Frage, wie dieses Ziel erreicht werden kann. Denn bisher haben verhaltenspräventive Maßnahmen, also Maßnahmen, die auf das Verhalten einer Person abzielen, wenig Erfolge gezeigt. Soll heißen: Wir wurden lange genug aufgeklärt und wüssten nun zwar theoretisch, wie wir uns ernähren sollten, aber wir tun es trotzdem nicht. Dafür sitzt die Angst vor dem Säbelzahntiger noch zu tief.
Vom Verhalten zu den Verhältnissen
Was wir selbst nicht schaffen, will nun die Politik für uns regeln. Weltweit werden verschiedene Maßnahmen diskutiert und erprobt, um uns zu einer gesünderen Ernährung zu verhelfen. Dazu zählt in erster Linie die Reduzierung von Zucker (und auch anderen Inhaltsstoffen) in Fertigprodukten. Denn der größte Teil unserer Zuckerzufuhr stammt aus Süßwaren und zuckerhaltigen Getränken, also Fruchtsäften, Nektaren und Limonaden. In England wurde aus diesem Grund bereits eine Zuckersteuer auf süße Getränke eingeführt, in Deutschland dafür die „Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie für Zucker, Fett und Salz in Fertigprodukten“ beschlossen. In diesem Zuge hat sich die Lebensmittelwirtschaft selbst verpflichtet, Zucker-, Fett- und Salzgehalte in ihren Produkten zu reduzieren. Eine Herausforderung, denn diese Zutaten wirken sich nicht nur auf den Geschmack aus, sondern haben auch Einfluss auf Textur, Konsistenz, Farbe, Frisch- und Feuchthaltung und nicht zuletzt auf die Haltbarkeit.
Schmeckt das dann überhaupt noch?
Mit der Frage der technologischen Umsetzbarkeit von einer Zucker-, Fett- und Salzreduktion, aber auch mit der Akzeptanz von Geschmackseinbußen auf Verbraucherseite hat sich 2018 die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft DLG in einer Studie auseinandergesetzt. Demnach wäre wohl nur ein kleiner Teil der befragten Konsumenten bereit, zugunsten von weniger Zucker, Salz und Fett auch auf ein bisschen Geschmack zu verzichten. Die gute Nachricht ist aber: Bei bestimmten Produkten ist es möglich, diese Inhaltsstoffe zu reduzieren, ohne, dass es groß auffällt und sensorische Nachteile zur Folge hat. Bei anderen Lebensmitteln wiederum könnte die Zielgruppe über eine entsprechende Vermarktung durch den gesundheitlichen Nutzen überzeugt werden.
Der gesunde Mittelweg
Wir alle wollen gesund sein und lange leben. Dass Ernährung einen Einfluss darauf hat, ist unumstritten. Dass es nie um Extreme geht, sondern darum, das richtige Maß zu finden, aber auch. Natürlich handelt es sich bei der Angabe von 10 Prozent nicht um eine empfohlene Zufuhr, sondern um eine Obergrenze. Diese lässt aber eben auch Spielraum für süße Genüsse in unserem Leben zu. Zucker hat in unserer Ernährung schon immer eine Rolle gespielt, er ist Teil unserer Gesellschaft, unserer Traditionen und unserer Kultur. Ganz verbannen kann, darf und soll man ihn nicht. Auch ohne Säbelzahntiger.
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